11.02.2020
Unser Schulsystem versucht noch immer Wissen zu vermitteln, das auf einem seit 80 Jahren fast unveränderten Curriculum basiert. PISA-Koordinator Andreas Schleicher bringt das auf den Punkt: „Wenn wir die Kinder des 21. Jahrhunderts von Lehrern mit einem Ausbildungsstand des 20. Jahrhunderts in einem Schulsystem unterrichten lassen, das im 19. Jahrhundert konzipiert wurde und sich seitdem nur graduell verändert hat, dann kann das so nicht funktionieren.“
In Zukunft werden Menschen jedenfalls zusätzliche Fähigkeiten beherrschen müssen, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. So definiert zum Beispiel das „21st Century Skills“-Modell vier Kompetenzfelder: 1. kompetenter Umgang mit Medien, Technologien, Informationen und Daten; dazu gehört auch die von Andreas Treichl seit Jahren geforderte Financial Literacy. 2. virtuelle und persönliche Kommunikation und Kooperation vor dem Hintergrund von Diversität, Interdisziplinarität, Interkulturalität und Alter 3. Kreativität, Innovationsfähigkeit, analytisches und kritisches Denken 4. selbstständiges Arbeiten, Mut, Unternehmungsgeist, Umgehen mit Ambivalenz, Eigenmotivation.
Diese Anforderungen stimmen sehr wenig mit der schulischen Realität überein. Dafür verantwortlich ist das ausgeprägte Immunsystem von Schulsystemen gegen jede grundlegende Veränderung der Lehrinhalte und Lehrpläne. Dazu kommt, dass diejenigen Inhalte, die am einfachsten zu unterrichten und zu prüfen sind, leider genau den Fähigkeiten entsprechen, die am schnellsten zu digitalisieren oder in Zukunft durch künstliche Intelligenz (AI) zu ersetzen sind. Es ist viel leichter, Schülern die Ursachen der Französischen Revolution beizubringen als sie dabei zu unterstützen, mit ihrer eigenen Unsicherheit umzugehen und wertschätzend mit ihren Kollegen und Lehrern zu kommunizieren.
Der visionäre Denker Yuval Harari geht davon aus, dass Menschen sich in Zukunft aufgrund des rapiden Fortschritts der künstlichen Intelligenz (AI) alle 15 Jahre neu erfinden müssen, um die beruflichen Herausforderungen bewältigen zu können. Dass unser Schulsystem die dafür notwendigen 21st Century Skills vermitteln müsste, ist wohl unbestritten. Wie soll das mit dem bestehenden System möglich sein?
Yuval Harari war letztes Jahr von der Wirtschaftskammer Österreich zu einem Vortag eingeladen und hat mit Harald Mahrer und Sebastian Kurz diskutiert. Wir sollten uns allerdings die Thesen Hararis nicht nur andächtig anhören, sondern endlich vor allem unsere Schulen danach ausrichten.
Die erste Handlung, um dem 21. Jahrhundert Einlass in unsere Schulen zu gewähren, wäre das Niederreißen der unsichtbaren Mauern, mit denen diese sich von der Lebenswirklichkeit abzuschotten versuchen. Die Schule der Zukunft muss die Welt in ihr Inneres lassen und alles tun, um Teil dieser Welt zu werden.
Dazu ein konkreter Vorschlag: Ermächtigen wir doch unsere Schulen, zehn Prozent ihrer gesamten bisherigen Unterrichtszeit an ausgewählte externe Personen mit Lebenserfahrung zu vergeben. Diese zehn Prozent dienen dann der Vermittlung der skizzierten sozialen, kommunikativen und kreativen Fähigkeiten. Schüler lernen in lebensnahen Projekten Kompetenzen, wie Handlungsmut in unsicheren Situationen, Resilienz, Selbstorganisation, Teamfähigkeit und Verantwortung zu übernehmen. Die Projekte werden fächerübergreifend von den Externen gemeinsam mit interessierten Lehrern in Teams realisiert.
Funktioniert haben echte Innovationen in Schulsystemen meist dann, wenn sie von Regierungen initiiert und gegen alle Widerstände durchgesetzt wurden, wie bei den Charter Schools in den USA und den großen Schulreformen in Finnland, Kanada und Neuseeland. Wäre das auch in Österreich möglich? Dafür sollten wir lernen, zwischen schwierigen und unbequemen Problemen zu unterscheiden. Auf dem Mond zu landen und wieder zurückzukehren war extrem schwierig. Schulsysteme zu verändern ist nicht schwierig, wie viele internationale Beispiele beweisen, es ist nur unbequem. Im bereits vorgerückten 21. Jahrhundert können wir es uns nicht leisten, weiter auf das Curriculum des 19. Jahrhunderts zu setzen, nur weil es bequem ist. Wenn wir die Kinder auf eine ungewisse Zukunft vorbereiten wollen, dann dürfen wir sie nicht in unserer Vergangenheit festhalten. H. G. Wells, der Autor des Romans „Der Krieg der Welten“, hat uns vor langer Zeit gewarnt: „Zivilisation ist ein Wettrennen zwischen Bildung und Katastrophe.“