Im zweiten Buch,
IMMER MEHR FREUDE, zeigt er den Weg der Therapie und Heilung. Schulen können Orte sein, an denen Kinder sich wohl fühlen und mit Freude und Neugier lernen. Dort gibt es Lehrer, die nichts von ihren Schülern erwarten, sie trauen ihnen einfach alles zu. In der lebendigen Schule werden Kinder berührt anstatt perfektioniert, damit sie ihre Welt jeden Tag ein bisschen besser verstehen können. IMMER MEHR FREUDE zeigt, wo es die lebendigen Schulen schon gibt. Jedes Kind hat ein Recht darauf, sie zu besuchen. Jetzt – und nicht erst in zehn, zwanzig Jahren.
Leseproben
Die tödliche Schule ist vor allem eine „So als ob“-Schule.
Sie findet in Gebäuden und mit Lehrplänen statt, die „so tun, als ob“ Kinder außerhalb der Turnstunde keinen Körper hätten. Dazu kommen Schulpolitiker, die „so tun, als ob“ von oben verordnete Schulreformen je in den Klassenzimmern ankommen. Es gibt Schulinspektoren, die „so tun, als ob“ sie nachgewiesene Missstände tatsächlich lösen wollten, sich aber als liebe „Guten Tag, alles bestens?“-Onkel mit niemandem anlegen wollen; Gewerkschafter, die „so tun, als ob“ es ihnen um die besten Lehrer ginge und die tatsächlich Direktoren daran hindern, Mitarbeitergespräche mit allen ihren Lehrern zu führen; Direktoren, die sich das gefallen lassen, „so als ob“ dadurch das Klima an ihrer Schule besser werden könnte; Eltern, die „so tun, als ob“ sie nicht wüssten, wozu ihre Kinder fähig sind. Und alle „tun so, als ob“ es ihnen um das Wohl jedes einzelnen Kindes ginge. Im Unterricht ist vor allem die „Osterhasenpädagogik“ ein Kennzeichen der tödlichen Schulen: Der Lehrer versteckt das Wissen vor seinen Schülern, und die müssen danach suchen, „so als ob“ es Ostereier wären. Andere verteilen seit Jahren die gleichen lieblosen Arbeitsblätter, „so als ob“ durch deren stupides Ausfüllen Neugierde entfesselt werden könnte. Es darf daher nicht verwundern, dass die Schüler dann „so tun, als ob“ sie aufpassen würden und bei Prüfungen simulieren, dass sie auch etwas verstanden hätten.
Die tödliche Schule will ausweichen statt begegnen, ignorieren statt konfrontieren, vortäuschen statt aufklären, sie ist kalt und nicht warm, sie ist einfach verlogen und dies verhindert alles.
Wenn wir so genau wissen, wie gute Schulen funktionieren, warum schaffen wir diese dann nicht für alle Kinder?
Das Wissen, wie eine Schule aussehen müsste, die sich an den individuellen Bedürfnissen der Schüler orientiert, ist bekannt. Die guten Schulen basieren auf bestimmten Prinzipien:
- Die Schüler werden systematisch in ihren Stärken und Schwächen erfasst und entwickeln sich ständig weiter. Die Definition von Talent umfasst gleichberechtigt kognitive, sportliche, künstlerische, emotionale und soziale Begabungen.
- Es besteht ein klarer Verhaltenskodex für Schüler und Lehrer, der auch konsequent umgesetzt wird. Für schwierige Fälle gibt es dafür ausgebildete Spezialisten.
- Die Zeitstruktur und die Räume der Schule orientieren sich an den Bedürfnissen der Schüler. Pausenglocken und starre Stundenpläne wurden abgeschafft.
- Lehrer bereiten nicht allein „ihre“ Stunden vor, sondern erarbeiten in Teams die Lernerfahrungen für ihre Schüler. Die Lehrer verbringen den ganzen Tag in der Schule und teilen sich ihre Zeit autonom ein. Sie haben moderne Arbeitsplätze und Räume für ihre Teambesprechungen.
- Ein exzellenter Direktor, der Menschen führen und begeistern kann. Dieser Direktor hat einen wesentlichen Einfluss auf die Auswahl seiner Lehrer und kann sich von den völlig ungeeigneten auch trennen.
- Der Unterricht geht über die klassischen Fächer wie Mathematik, Sprachen und Naturwissenschaften hinaus und umfasst Lernen in Projekten, Kunst, Sport und soziale Erfahrungen.
- Die Eltern werden von Anfang an in das Netzwerk der Schule eingebunden, sei das bei manchen auch noch so schwierig.
- Und das Wichtigste: Alle, der Direktor, die Schüler, die Lehrer und die Eltern, verstehen sich als Lernende. Lernende, die Fehler machen dürfen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen; Lernende, die Widerstände in sich selbst und bei anderen zu überwinden lernen; Lernende, die nicht die Fehlschläge und gescheiterten Versuche, sondern die Erfolge und Fortschritte zählen.
Wenn wir so genau wissen, wie gute Schulen funktionieren, warum schaffen wir diese dann nicht für alle Kinder?
Die Antwort, auf die ich nach unzähligen Diskussionen mit den Verantwortlichen gekommen bin, ist banal und tragisch: Sie wollen das Offensichtliche nicht sehen, weil sie Angst vor dem Widerstand gegen das Neue haben. Sie klammern sich wider besseres Wissen am Alten fest. Sie orientieren sich nicht an den Reformern, sondern an den Bremsern. In der Wirtschaft gibt es den Spruch „Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen“. In der Schule herrschen die Langsamen über die Schnellen. Und da sich die Langsamen in der Schule überhaupt nicht bewegen, wird der Stillstand zur dominierenden Bewegungsart.